Mobilitätsoffensive für den steirischen Zentralraum

Mobilitätsoffensive für den steirischen Zentralraum
Auf dem Podium saßen die Obfrau der Regionalstelle Graz, Sabine Wendlinger-Slanina, Verkehrsexperte Professor Hermann Knoflacher (Gruppenfoto rechts) und der (designierte) Obmann der Regionalstelle Graz-Umgebung, Michael Hohl. (Foto: Fischer)

Graz (A) 43 Prozent der steirischen Wertschöpfung werden in Graz und Umgebung generiert – und die Bevölkerungsprognosen für den Großraum lassen weiter deutliche Zuwächse erwarten. Das stellt vor allem den Individualverkehr im Ballungsraum vor große Herausforderungen, warum sich die WKO nun auch in einer eigenen Studie der Problematik gestellt hat. Einer der wesentlichsten Lösungsansätze daraus: die Forcierung der Multimodalität. Finanziert werden sollen die Maßnahmen unter anderem durch eine Neuordnung der Pendlerpauschale, die zum Teil auch in Sachleistungen ausbezahlt werden könnte.

„Allein die kleine Pendlerpauschale macht in Österreich rund 200 Millionen Euro pro Jahr aus. Würde man dieses Geld  als Sachleistung ausgeben, sprich Öffi-Tickets für Pendler, könnte man den gesamten öffentlichen Verkehr massiv attraktiveren“, so die beiden Regionalstellenobleute Sabine Wendlinger-Slanina und Michael Hohl (designiert).

Graz und Umgebung wachsen stark: Die Landeshauptstadt soll bis zum Jahr 2050 um rund 20 Prozent, Graz-Umgebung sogar um bis zu 30 Prozent wachsen. Um diese enorme Bevölkerungszunahme bewältigen zu können, braucht es vor allem auch tragfähige Mobilitätskonzepte. Die WKO Steiermark fordert deshalb eine Adaptierung der bestehenden Strategien in Stadt Graz und Land Steiermark und eine völlige Neuordnung der von der öffentlichen Hand eingesetzten Mittel.

Vordringlichstes Ziel innerhalb der Landeshauptstadt sei dabei, die großen Grazer Knotenpunkte für den öffentlichen Verkehr neu zu denken, sagt die Obfrau der Regionalstelle Graz, Sabine Wendlinger-Slanina: „Wir müssen eine viel stärkere Vernetzung aller Verkehrsbereiche, von den Öffis über die Regionalbusse bis zu E-Mobilitäts- und E-Mobility-Knotenpunkten, andenken. Hier liegt noch viel Potenzial brach, man muss richtige multimodale Knoten schaffen, wo der Öffentliche Verkehr nahtlos mit Verkehrsmitteln wie E-Taxis, E-Bikes oder auch Car- und Bikesharing-Systemen verknüpft werden.“ Insbesondere das Schlagwort der „Multimodalität“ sei wichtig: Die Menschen würden immer mehr für verschiedene Wege unterschiedliche Mobilitätsangebote – im Fachbegriff nennt man das „Modal Split“ – wählen. Hier gelte es, die bisherigen Zielwerte zu überarbeiten. Wendlinger-Slanina: „Die Mobilitätsstrategie Graz 2020 hat unrealistische Ziele festgeschrieben. Wir wissen mittlerweile aus Befragungen, dass diese Ziele nicht erreichbar sind und man kann diesen Weg nur mit den Menschen gemeinsam gehen. Deshalb muss man die Ziele auch neu definieren und dann auch die richtigen Anreize schaffen, diese zu erreichen.“ So fordert Wendlinger-Slanina den raschen Ausbau der Süd-West-Linie und die Erschließung der Smart-City sowie der Reiningshausgründe. Mit einer besseren, zentrumsnahem Anbindung der Bahn- und Regionalbusstrecken könne man bisher brach liegende Potenziale nutzen und den Öffentlichen Verkehr nicht nur für die Grazer, sondern auch für Ein- und Auspendler attraktiver gestalten. Geeignete weitere Maßnahmen zur Zielerreichung seien etwa das Job-Ticket, eine bedarfsgerechte Infrastrukturoffensive im Bereich der E-Mobilität (wie etwa Ladestationen) oder auch Sammelgaragen (eine Garage für mehrere Wohnobjekte, die den Fußgängeranteil am Modal Split direkt und den des ÖV indirekt begünstigen). Schon allein im Hinblick auf die Feinstaubsituation sei es darüber hinaus auch sinnvoll, den Anteil an E-Fahrzeugen und den motorisierten Individualverkehr separat in der Statistik auszuweisen.

Während die Stadt hauptsächlich mit verstopften Straßen und schlechter Luft zu kämpfen hat, dreht es sich im Umland viel mehr um die richtigen Anreize, auf das Auto zu verzichten. „Hier ist eines ganz klar, und das zeigen auch die Statistiken deutlich: Wenn das Angebot, also die Anbindung an die Stadt, stimmt, dann sind die Leute auch bereit, sie in Anspruch zu nehmen. Ich glaube sogar, dass viele froh sind, wenn sie nicht mit dem Auto in die Stadt fahren müssen“, erklärt der Obmann der WKO-Regionalstelle Graz-Umgebung, Michael Hohl. Entscheidend sei, Angebote zu schaffen, die auch bis zur „Haustür“ der Menschen funktioniert. „Die First- oder Last Mile ist das Problem. Ich muss die Leute dort erreichen, wo sie zu Hause sind. Wenn sie ins Auto steigen müssen, um zum Bahnhof oder Bus zu kommen, habe ich schon einen Nachteil, erreiche ich sie schon schwerer. Außerdem brauche ich dann an den Bahnhöfen auch die Infrastruktur, das heißt Parkplätze, WC-Anlagen etc.. Deshalb müssen wir Systeme installieren, die dieses Problem lösen können“, sagt Hohl. Eine Möglichkeit dafür seien etwa „Micro-ÖV“-Angebote: Ein kleiner (oder je nach Bedarf auch größerer) Bus bzw. Taxifahrzeuge fahren durch das Einzugsgebiet von Bus- oder Bahnknotenpunkten. Mit modernen technischen Hilfsmitteln – beispielsweise über eine App oder das Internet – könnten sich die Menschen täglich für den nächsten Tag „anmelden“. Das Fahrzeug hält entweder direkt vor der Haustüre oder im fußläufig kurzfristig erreichbaren unmittelbaren Wohnumfeld an Sammelpunkten. Die Fahrzeuge verkehren nach Bedarf: Damit könnte man Pendler abholen und heimbringen, aber auch Jugendlichen oder Pensionisten bessere Mobilitätsangebote machen. Hohl: „Damit könnten die Micro-ÖV-Systeme sozusagen die kleinsten Rädchen im großen ÖV-Konzept werden: Sie sind zwar nur Zubringer zu Linienverbindungen, machen diese aber auch erst richtig interessant. Sie sind also nicht als Konkurrenz zu bestehenden Angeboten, sondern zu deren Unterstützung gedacht. Außerdem können sie die jeweils örtliche Wirtschaft stärken, weil sie auch von Ort zu Ort maßgeschneidert installiert werden können.“ So könnten auch Querverbindungen außerhalb der Stadt realisiert werden, die derzeit fehlen: Wer etwa von Lieboch nach Feldkirchen will, benötigt für die rund elf Kilometer im Auto lediglich etwa zehn Minuten. Öffentlich ist diese Strecke am „schnellsten“ über den bereits innerstädtisch gelegenen Bahnhof Don Bosco bzw. überhaupt über den Hauptbahnhof erreichbar – und dauert im besten Fall fast viermal so lang. „Das ist nicht nur uninteressant für die Nutzer, sondern erzeugt auch unnötigen Verkehr in der Stadt“, erklärt Hohl.

Pendlerpauschale soll in die Finanzierung fließen
Hauptargument, warum die dringend und lange diskutierten Maßnahmen nicht umgesetzt werden, sind immer wieder die Kosten. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, könnten zweierlei Vorschläge dienlich sein: Die Pendlerpauschale, die derzeit im Gießkannenprinzip als Geldleistung ausgeschüttet wird und keinerlei Anreize zum Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf Massentransportmittel beinhaltet, soll größtenteils in Sachleistungen umgewandelt werden: So könnte das Geld insbesondere der „kleinen Pendlerpauschale“ – allein das sind österreichweit rund 200 Millionen Euro jährlich – deutlich besser zur Stützung von günstigeren Jahreskarten dienen oder der Finanzierung des Jobtickets investiert werden. Das brächte auch echte Anreize für die Empfänger, Öffi-Angebote zu nutzen, ein Lenkungseffekt wäre die positive Folge daraus. Zusätzlich müssen öffentliche Personennahverkehrskonzepte stärker auf Bundesebene kofinanziert werden – die Verhandlungen zum neuen Finanzausgleich, die bis Ende 2016 laufen sollen, bieten sich als Gelegenheit hervorragend an, hier Nägel mit Köpfen zu machen. „Außerdem schlagen wir vor, Best-Practice-Beispiele aus anderen Ländern zu übernehmen, etwa den Agglomerationsfonds aus der Schweiz“, sagen Wendlinger-Slanina und Hohl. Dort wurde 2006 ein Fonds geschaffen, mit dem Projekte des Verkehrs in Ballungsräumen durch den Bund mitfinanziert werden. Diese Agglomerationsprogramme ermöglichen eine gesamtheitliche Verkehrsplanung anhand klar definierter Kriterien. Die Agglomerations-Regionen stehen dabei im Wettbewerb um die Lukrierung der Mittel, nur die besten Infrastruktur- und Mobilitätsprogramme werden jährlich kofinanziert. Bei einem Finanzierungszuschlag gibt es dann auch die Auflage, das Projekt binnen gewisser Zeit umzusetzen. Ein Stadtregions- oder Agglomerationsfonds könnte in Österreich etwa aus anteilsmäßig zweckgebundenen Mineralölsteuereinnahmen, aus den Überschüssen der ASFINAG bzw. aus dem allgemeinen Steuertopf gespeist werden. Für den am zweitstärksten wachsenden Ballungsraum Österreichs – Graz und Umgebung – muss auch der Bund mehr Verantwortung übernehmen.

Unterstützung für ihren Vorstoß bekommt die Wirtschaft von Verkehrsexperten Hermann Knoflacher vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien. Sein Credo: Förderung lokaler Betriebe statt Pendlerpauschale. „Rund 600 Millionen Euro werden für die Pendlerpauschale derzeit aufgewendet, wovon rund die Hälfte die Pendler erreicht. Diese gut gemeinten Maßnahme hat aber eine Reihe schädlicher Wirkungen: Schwächung lokaler Kleinbetriebe und Stärkung der Großen, Förderung der Zersiedelung sowie Umweltbelastungen. Gefördert wird ein Symptom, die Ursache wird nicht erkannt. Diese liegt in der Unausgewogenheit von Beschäftigten am Wohnort und lokalen Arbeitsplätzen und der leichtfertigen Landschaftszersiedelung. Das Geld wäre viel sinnvoller in der Förderung lokaler Betriebe, die Arbeitsplätze vor Ort anbieten, einzusetzen. Auch der Finanzausgleich, wie er heute betrieben wird, unterstützt das Pendlerunwesen, weil er keine Rücksicht auf ein ausgewogenes Verhältnis von Wohn- und Arbeitsbevölkerung nimmt“, betont Knoflacher.

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