Studium mit Zukunft – Hochschuldidaktik in der Praxis: „Im Berufsalltag gibt es auch keine Folien und langen Vorträge“

Studium mit Zukunft – Hochschuldidaktik in der Praxis: „Im Berufsalltag gibt es auch keine Folien und langen Vorträge“
Tanja Kirn und Bernhard Gasser

Dozierende mit didaktischer Ausbildung sind an Universitäten noch längst keine Selbstverständlichkeit. Die Universität Liechtenstein bildet ihre Dozierenden intensiv im Bereich Hochschuldidaktik weiter. Tanja Kirn und Bernhard Gasser sind zwei von ihnen, die ihre didaktischen Kenntnisse mit Begeisterung im Unterricht umsetzen und sich diesen im früheren Stil heute gar nicht mehr vorstellen könnten.

Wie setzen Sie die didaktischen Erkenntnisse aus Ihren Weiterbildungen im Unterricht um?
Bernhard Gasser: In den letzten Jahren hat sich didaktisch an der Universität Liechtenstein sehr viel verändert, weil wir ein professionelles Team an Trainern an unserer Seite haben, die uns Dozierende trainieren.
Wenn wir heute an der Universität so unterrichten würden, wie wir damals selbst unterrichtet wurden, dann wäre die Lehre sehr ineffizient weil das damalige Konzept auf Wissensvermittlung beruhte, und sonst nichts. Aus dem heraus kommt auch die ganze Inszenierung der „Vorlesung“ und der Begriff des „Studenten“, der irgendetwas studiert, aber keine Zusammenhänge begreift.
Mein Thema Bauphysik kann man klassisch im Hörsaal unterrichten, wie es an den großen Universitäten noch immer der Fall ist, weil die Professoren noch immer dieselben sind, wie zu meiner Zeit. In meinem Unterricht versuche ich, in kleinen Seminarräumen mit den Studierenden zusammen ein Semesterprojekt zu entwickeln. Ein sehr wesentlicher Aspekt in meinem Unterricht ist auch die Sozialkompetenz, denn kein junger Architekt kann in einem Architekturbüro bestehen, wenn er ein Eigenbrötler ist.

Verglichen mit dem alten Unterrichtskonzept, was ist völlig neu?

Bernhard Gasser: Ich habe früher selbst auch nach dem ganz klassischen Konzept unterrichtet. Ich klickte während der Vorlesungen durch meine Folien und hatte meine Skripten. Der Unterricht bestand nur aus Bildern, ohne irgendetwas zum Anfassen. Das ist natürlich als Dozent supereinfach. Bis auf zwei oder drei exponierte Persönlichkeiten wusste ich auch nie die Namen der Studierenden und man hat sich immer per Sie angesprochen. Irgendwann war es keine Herausforderung mehr, es war eigentlich langweilig. Die didaktische Weiterbildung war ein entscheidender Wendepunkt.
Jetzt gibt es bei mir keine langen Vorträge und keine klassischen Skripte mehr. Für jeden Termin, den ich mit meinen Studierenden habe, gibt es ein Briefing, ein Intro, und anschließend wird gearbeitet. Im späteren Berufsalltag gibt es auch keine Folien und langen Vorträge.
Ich habe auch komplett auf Blockunterricht umgestellt, also ein ganzer Vormittag oder Nachmittag, und jeder Block ist ein in sich abgeschlossener Teilschritt des Semesterprojektes. Gerade mit den Erstsemestrigen ist alles sehr praxisorientiert. Es ist ein großer Aufwand, auf diese Weise zu unterrichten, aber im Ergebnis lohnt es sich.
Seither bin ich mit allen Studierenden per Du und spätestens ab dem dritten Semester kenne ich von allen Studierenden den Vornamen.

Ist der verstärkt praxisorientierte Unterricht an Universitäten auch aus einem gewissen Druck heraus entstanden, weil Fachhochschulen dieses Konzept schon längst erfolgreich anwenden?

Bernhard Gasser: Im technischen Bereich der Universitäten gibt es sicher auch, initiiert durch den erfolgreichen Bereich der Fachhochschulen, einen Druck, der in diese Richtung geführt hat, was aber meiner Meinung nach nicht heißt, dass sich Universitäten an die Fachhochschulen angleichen. Man muss ganz klar sehen, dass es einerseits diese sechssemestrigen Bachelor-Studiengänge gibt, die viel mehr Praxisbezug haben als früher, aber andererseits auch ganz klare Masterstudiengänge, die Lehre und Forschung verbinden sollen und müssen. Dieser wissenschaftliche Bereich, der vertieft nur im Master stattfindet, ist für eine Universität sehr wichtig. Eine gewisse Angleichung an die Fachhochschulen erfolgte im Bachelor.

Die Universität Liechtenstein war früher eine Fachhochschule und man hat nun den großen Vorteil, beides zu kennen und die bestmögliche Variante daraus machen zu können. Ist das so?
Tanja Kirn: Ich kenne die Zeit der Fachhochschule nicht. Vorher habe ich an einer Universität Volkswirtschaft gelehrt und habe hier die Volkswirtschaft im Bereich Mikroökonomie einfach neu aufgebaut. Sicher habe ich einiges an Lehrerfahrung mitgebracht, wir waren damals in der Exzellenz-Initiative für Lehre, das hatte schon einen gewissen Stellenwert und war etwas Besonderes, aber hier haben wir ein ausgereifteres Konzept. Ich habe dazugelernt und meine Lehrveranstaltung umgestellt.
Die Volkswirtschaftslehre ist sehr formal, man bekommt dafür nur sehr wenig Vorschusslorbeeren. Um zu motivieren beginne ich meine Vorlesungen immer mit einer Frage, die man mit dem Stoff der Vorlesung beantworten kann.
Ich arbeite sehr viel an der Tafel und verwende parallel den Overhead. Das Thema Volkswirtschaft kann man nie anfassen, aber ich versuche es immer über verschiedene Lernkanäle zu vermitteln. Manche Studierende sind eher visuell veranlagt, andere formell, wieder andere müssen es einfach einmal verbal erläutert haben. Um die Lehre möglichst lebendig zu gestalten setze ich auf Interaktion mit den Studierenden.

Wie erreichen Sie die verschiedenen Studententypen?
Tanja Kirn: Ich biete einen Dreiklang. Als erstes formuliere ich den Problemaufriss verbal, dann zeige ich eine Graphik dazu, bei der schon bei vielen das erste Aha-Erlebnis kommt, und am Ende kommt die mathematisch formale Herleitung und Anwendung.
Bei der Gestaltung der Lehre hat die Fachstelle Didaktik mir sehr geholfen. Ich habe viel umgestellt und neu gemacht, es war einfach sehr interessant, sowohl die Erfahrung, als auch der Austausch zwischen uns Dozierenden.

Arbeiten die Studenten bei Ihnen auch in Gruppen an Projekten?
Tanja Kirn: Wenn ich im Bachelor unterrichte, lehre ich pro Woche zwei mal 90 Minuten. Ich mache immer Unterbrechungen, die bei mir „Whisper Groups“ heißen, in denen die Studierenden zu zweit oder zu dritt, wie sie eben in den Reihen sitzen, zusammenarbeiten. Das ist aber limitiert, da in den Hörsälen der Platz zu mehr Gruppenarbeit fehlt.
Im Master habe ich eine Lehrveranstaltung, bei der ich die Möglichkeit habe, im Block zu unterrichten. Hier wird teilweise in Gruppen gearbeitet.

Sind die Dozenten der Universität Liechtenstein völlig frei in der Umsetzung ihrer didaktischen Konzepte, oder gibt es seitens der Fachstelle vorgegebene Rahmenbedingungen?
Bernhard Gasser: Es wird natürlich erwartet, dass die Dozierenden sich diesbezüglich weiterbilden, was wir auch tun. Was der einzelne Dozent dann aber daraus für sich persönlich oder die Studenten macht, liegt natürlich in seiner Hand. Eine verordnete Didaktik würde nicht funktionieren. Meiner Meinung nach ist ein guter Lehrer der, der auch seine individuellen Fähigkeiten einsetzt. Man sucht sich aus dem didaktischen Baukasten, der recht groß ist, die Möglichkeiten, die passend sind für die eigene Persönlichkeit und das Unterrichtsfach.
Was als Qualitätssicherungsmaßnahme aber schon sehr professionell von der Studiengangsleitung betrieben wird, sind die Feedbacks. Diese spiegeln die Qualität der Lehre am Ende de facto wirklich wieder. Man kann ja selbst der Meinung sein, dass der eigene Unterricht hervorragend funktioniert und dem ist möglicherweise überhaupt nicht so.
Tanja Kirn: Bei jeder Lehrveranstaltung gibt es nach vier Wochen eine Blitzlichtevaluation mit zwei oder drei Fragen, und dann gibt es im Turnus umlaufend umfangreichere Evaluationen. Ich lasse mich jedes Semester evaluieren um zu sehen, wie mich die Studierenden einschätzen ihren Lernfortschritt beurteilen. Wir haben noch die Möglichkeit der Hospitation, dass Roman Banzer oder Pia Scherer zu uns in die Vorlesung kommen, beispielsweise einmal im Semester, sich das ansehen und es dann mit uns besprechen. Ich mache es jedes Semester, dass einer der beiden zu mir kommt. Es ist immer sehr interessant zu sehen, was diese Fachleute der Didaktik noch erkennen.

Sieht man anhand der Feedbacks einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess?
Bernhard Gasser: Die Erfolgserlebnisse sind natürlich am Anfang wesentlich größer als später, denn es gibt auch hier so etwas wie einen Sättigungsprozess. Es gibt da eine Grenze, bei der man spürt, um nochmal mit der Qualität der studentischen Leistungen weiter zu kommen, müsste man sozusagen ans Eingemachte gehen. Es ist mir wichtig, dass die Semesterprojekte nicht nur herzeigbar sind, sondern ich muss das Gefühl haben, dass das Bestand hat. Man muss dazu so viel Druck auf die Studierenden ausüben, wie die Wirklichkeit im Beruf dann auf sie ausübt. Die Studierenden sind alle so zwischen 20 und 25 Jahre alt und man merkt, sie haben noch nicht die Grenze für sich gebildet, wie viel lasse ich zu. Man muss da etwas aufpassen. Wir achten sehr darauf, dass in den einzelnen Semestern die Quersumme der einzelnen Disziplinen in Wochenstunden am Ende in einem vernünftigen Bereich bleibt.

Aber sieht man eine Verbesserung der Lehre anhand der Studentenfeedbacks?
Bernhard Gasser: Man muss realistisch sein. Der große Unterschied ist eben, dass die Studierenden noch nicht im Berufsalltag sind. Sie haben zwar schon einzelne Praktika gemacht, können das jedoch noch nicht reflektieren. Äußerungen wie: „Das Gelernte kann ich verwenden“, oder ähnliches kommt in solchen Feedbacks überhaupt nicht vor, sondern sie sind vielmehr ganz persönlich und individuell. Ein solches Feedback könnte man sich beispielsweise so vorstellen: „Ich finde, die verwendete Software zur Berechnung der Wärmedurchgangskoeffizienten ist schlecht, ich habe eine neue gefunden, der Link lautet ...“. Das ist ein typisches Feedback.
Mich interessieren diese Verbesserungsvorschläge, auch wenn sie teilweise negativ formuliert sind.
Die Qualität der Feedbacks ist nicht immer so, dass man sie in einem größeren Zusammenhang sehen kann, weil die Studierenden gar nicht wissen, ob sie etwas brauchen, sondern sie glauben es.
Diesbezüglich sehr interessant finde ich es, Jahre später ehemalige Studenten zu treffen. Wenn man dann darüber spricht, was sie jetzt machen, frage ich gerne wieder nach einem Feedback zu den Inhalten des Studiums. Dies bringt mir persönlich viel, weil hier ein wirklicher Praxisbezug besteht.

Wie kann man sich so eine didaktische Ausbildung für Dozenten denn vorstellen?

Bernhard Gasser: Das ist ein Teil eines Studienganges an der Universität Bern. Wir haben diesen fachpraktischen Teil mit einem Trainer hier an der Uni gemacht. Das dauerte zwei Semester und war sehr professionell geführt. Die Inszenierung war so gewählt, dass es für uns die erste praktische Anwendung war, wir waren die Studierenden und der Trainer der Uni Bern hat uns alle möglichen Facetten und Settings, selber spüren lassen.
Das hat sehr gut funktioniert, denn es braucht eigene Erfahrung, damit es mehr ist, als nur Theorie. Man beginnt selber das Bisherige zu hinterfragen. Ich hätte keine Stunde mehr so unterrichten können wie vorher. Ich möchte das mit den Möglichkeiten und Rahmenbedingungen maximal umsetzen.
Tanja Kirn: Es ging um bestimmte didaktische Methoden, diese kennen zu lernen und anwenden zu können. Die Kooperation mit der Uni Bern war wirklich hervorragend.

Factbox: Tanja Kirn
2005: Dipl. Volkswirtin (Universität Potsdam)
2009: Promotion (Universität Potsdam)
seit 2010 Assistenzprofessorin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Internationales und Liechtensteinisches Steuerrecht, Universität Liechtenstein, Vaduz

Factbox: Bernhard Gasser

1987 Ausbildung HTL Bregenz und Studium Universität Krems Klimaingenieur MSc
seit 2005 Selbständiger beratender Klimaingenieur mit Büro in Schaan
seit 2007 Dozent Universität Liechtenstein für Bauphysik und Gebäudetechnik

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